Spielraum für mehr Bier

Der Ort der Handlung sind diesmal Pizzerien, Kneipen und andere gastronomische (oder weniger gastronomische) Orte in Griechenland. Der Hauptgegenstand unseres Interesses ist Bier. Denn das wird hier zwar äußerlich in viel verschiedenen Formen (sprich: Marken) angeboten, letztendlich aber handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Produkt von Athenean Breweries, die mit überwältigendem Marktanteil und unter dem ständig wachsamen Auge der Kartellbehörden inzwi- schen fast ein Opfer des eigenen Erfolges zu drohen wird. Den Markt hat man sich selbst erobert, ohne faule Tricks oder Zukäufe, sondern durch die harte Arbeit von vor allem hartgesottenen, leidenschaftlichen Bier-Fans, die im Hauptberuf als Vertreter von Athenean Breweries durchs Leben gehen. Trotz des großen Konkurrenzdrucks konnten sie immer mehr Wirte von der Qualität der Produkte von Athenean Breweries überzeugen. Über viele Jahre hinweg ging es vor allem um Exklusivität. Angesichts des überwältigend hohen Marktanteils sieht die Kartellbehör- de es jedoch gar nicht gern, wenn die Wirte keine andere Biermarke führen. Das verkraften manche Vertreter nur schwer.

Der Standardansatz
Alex Daniliidis, der Chef der kommerziellen Abteilung von Athenean Breweries, weiss, dass ein simples ›mehr‹ – mehr der gleichen Ideen, der gleichen Ansätze, des gleichen Denkens – nicht weiter hilft. Man brauche ein Umdenken, darf seinen Fokus nicht allein auf Exklusivität richten, son- dern viel mehr auf die Steigerung des Bierkonsums im Allgemeinen. Die Konkurrenz sind nicht mehr nur die anderen Biermarken, sondern sämtliche Getränke, die Menschen auch anstelle eines Bieres trinken könnten.
Die Marketingabteilung hatte bereits untersucht, warum Men- schen überhaupt Bier trinken, und wie man sie dazu bringen könnte, das noch häufiger zu tun. Ohne die ethischen Grenzen zu verlassen, versteht sich, es geht schließlich um Alkohol.
Die Planung war auch schon gemacht, für den Anfang der Saison wollte man alle Vertreter einladen zu einer großen Veranstaltung. In eindrucksvollen PowerPoint Präsentationen würde man erklären, dass es darum ginge, insgesamt mehr Bier zu verkaufen. Ein paar Leute vom Marketing, im Durchschnitt 20 Jahre jünger als ein gestandener Vertreter, und wahrscheinlich kaum in der Lage, den Unterschied zwischen einem Pils und einem Weizen zu erkennen, sollten dann den Vertretern erklären, wie man mehr Bier verkauft. Den Außendienstlern würde noch ein minutiöser Ablaufplan für jeden der Kundenbesuche mitgegeben werden, und gleichzeitig sollte noch »Performance Management« eingeführt werden, um zu messen, ob die Vertreter die Aufgabe bewälti- gen können und sich an alle Vorgaben halten.

Kurz vor dem anstehenden Termin wurde es Alex Daniliidis und seinem Team doch etwas mulmig zumute. Man stellte sich die Reaktion der Vertreter auf diesen Ansatz vor, und konnte vorhersagen, was passieren würde: Die Vertreter würden wahrscheinlich wie erwünscht nach außen hin Begeisterung vortäuschen. Sie würden die neuen Instrumenten strikt nach Vorschrift einsetzen, aber gleichzeitig jedes Schlupfloch nutzen, dass ihnen noch ein wenig der alten Freiheit bewahrte. Und der Bierkon- sum würde vielleicht ein wenig wachsen, um dann höchstwahrscheinlich wieder zu stagnieren.

Handeln nach Vorschrift sorgt höchstens für Mittelmäßigkeit.

Dies ist wäre die Variante der Geschichte, wie sie sich in vielen Organisationen, in denen ich gerabeitet habe, in unzähligen Variationen wiederholt.

Der Alternativansatz
Es lief anders. Man benannte das mulmige Gefühl bei dem so logisch klingenden Ablaufplan in ein paar nachdenklichen Gesprächen im Direktionsteam. Und entschied sich dann zu spielen.

Wie wäre es, so das Team um Daniliidis, wenn wir ein paar der Vertreter einladen, die Lust auf etwas Neues haben. Die wissen, dass irgendwo der Wurm drin ist. Diesen zehn Leuten bieten wir einen Wettbewerb an: Wir definieren ihre Arbeit als Spiel. Wir schaffen einen buchstäblichen Spielraum, indem wir pro Vertreter einen Kunden nehmen, den wir aus dem Bonussystem herauslösen. Und mit diesen zehn Kunden, ob nun Tavernenbesitzer oder Kioskbetreiber, versuchen wir dann, den Trend zu brechen. Mehr Bier zu verkaufen.
Wir laden Vertreter ein, in dem geschaffenen Raum vor allem neue Dinge auszuprobieren. Experimente zu machen. Wir zeigen ihnen, was das Marketing sich gerade ausdenkt, und fragen, ob sie in den Vorschlä- gen fruchtbare Ideen erkennen. Nicht lang planen, ist das Motto, sondern viel ausprobieren. Und die Dinge, die nicht funktionieren, dann auch schnell wieder lassen.
Einmal pro Monat würde man sich mit den zehn Vertretern treffen. Austauschen, voneinander lernen. Und fragen, was noch nötig ist.

Und so geschah es. Mit erstaunlichem Resultat. Denn sämtliche Strategi- en, die die zehn Vertreter als erfolgreich ermittelten, wendeten sie sofort auf alle ihre Kunden an. Denn wenn die Strategie funktionierte, verkauf- ten sie mehr Bier, und das hieß mehr Spaß und mehr Bonus. Von der Energie und dem Erfolg neugierig gemacht, folgten andere Vertreter, wollten mitmachen. Anstelle dass man diesen Vertretern dann die neu gefundenen Strategien vorschrieb, schaffte man auch für sie nach dem gleichen System einen Spielraum.

Im Endeffekt war die Stimmung im Unternehmen sehr viel besser als vorher, als es wegen des stagnierenden Bierkonsums in die Krise abzurut- schen drohte. Die Kunden der Vertreter waren glücklicher, weil sie auf einmal mit sehr viel mehr Hingabe und Kreativität bedient wurden. Und der Bierkonsum wuchs nachhaltig.
Durch die Kraft des Spielraums.

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